Das Haus des Lebens war eine Institution, die sich innerhalb oder in unmittelbarer Nähe zu vielen Kult- und Bestattungstempeln befand. Sie war Bücherei, Skriptorium, Schule und Universität in einem, in der u.a. Medizin und Astronomie gelehrt wurden.
Die Hauptfunktionen der im Haus des Lebens „arbeitenden“ Rezitationspriester waren die Traumdeutung (auf der Basis von „Traumbüchern“) sowie die Ausführung magischer Schutzrituale. Obwohl sie denselben Reinheits-Regeln unterlagen wie andere Priester, waren sie nicht Teil der Tempelhierarchie und spielten auch keine Rolle im täglichen Tempeldienst des Sanktuariums. Sie verlasen, kopierten und verfassten die Bücher, die im Haus des Lebens aufbewahrt wurden und führten gegen Bezahlung magische Rituale zu bestimmten, nicht regelmäßigen Anlässen, wie z.B. Bestattungszeremonien, aus. Die Rezitationspriester stellten eine bedeutsame Verbindung zwischen dem heiligsten Inneren der Tempel und der profanen Welt dar. Sie besetzten sozusagen die Schnittstelle zwischen Tempelpriestertum und dem Volk in Ägypten. Ihr Einfluß durch Wissenschaft und Magie reichte in beide Welten hinein.
Im Haus des Lebens wurde das Wissen der damaligen Welt gesammelt. Die Priester reisten zu anderen Kultstätten und kopierten wichtige Bücher aus anderen Tempeln und Häusern des Lebens. Die „magische“ Literatur umfasst dabei auch medizinische Schriften, da die Medizin (Hauptmetier der Priester der Sekhmet), ebenso wie die magischen Schutzrituale und die täglichen Tempelrituale, zum Erhalt des Gleichgewichts der geschaffenen Welt und ihrer Bewohner beitrug. Überhaupt umfasst die Literatur, die im Haus des Lebens gesammelt wurde, ein größeres Wissensspektrum als die Bücher, die in den eigentlichen Tempeln aufbewahrt wurden. Der regen Kopiertätigkeit der Priester im Haus des Lebens ist es auch zu verdanken, dass uns überhaupt einige dieser Bücher, die auch als Grabgeschenke den Verstorbenen mitgegeben wurden, erhalten geblieben sind.