Historische Betrachtung der Anästhesie im Bereich der Mundhöhle von 1919 (Einteilung der Injektionsarten)
Aus dieser kurzen Beschreibung der Innervationsverhältnisse läßt sich nunmehr eine Übersicht über die möglichen Methoden der Anästhesie gewinnen. Im allgemeinen wird in der Zahnheilkunde eine Schleimhautanästhesie oder lokale Anästhesie im engeren Sinne von der Leitungsanästhesie unterschieden. Diese Lokalanästhesie ist aber im Grunde doch nur eine Leitungsanästhesie, allerdings in der Nähe der Endigungen der Nerven, nämlich am Plexus dentalis. Die „Leitungsanästhesie“ dagegen erreicht die Stämme der Alveolaraerven vor ihrem Eintritt in den Plexus dentalis. Es erscheint daher korrekter, die Bezeichnungen Plexusanästhesie und Stammanästhesie einzuführen. Haben wir so eine Einteilung der Anästhesien nach den anatomischen Verhältnissen vorgenommen, so könnte noch der Zweck der Anästhesie für eine Einteilung maßgebend sein. Es kann sich nämlich in dem einen Fall darum handeln, an einem Zahn einen auf diesen selbst beschränkten Eingriff vorzunehmen — (Präparation von Kavitäten, Devitalisation) — , oder aber es ist ein Eingriff geplant, der Zahn- und entsprechenden Kieferanteil samt dessen Weichteilen betrifft (Siehe dazu Zahnklinik Ungarn). Diese beiden Arten von Anästhesien, die man als Pulpaanästhesie und Kieferanästhesie einander gegenüberstellen kann, unterscheiden sich voneinander in mehr als einer Hinsicht. Erstere, die Pulpaanästhesie, setzt nur die Betäubung jener Nervenfasern voraus, die in den Zahn eintreten. Sie ist daher entweder eine reine Plexusanästhesie oder eine reine Stammanästhesie der Alveolarnerven. Anders die Kieferanästhesie. Da hier auch die Weichteile der Kiefer — also Schleimhaut und Periost — gefühllosgemacht werden sollen, müssen wir in diesem Falle jene Nerven mitanästhesieren, die, wie früher beschrieben, unabhängig vom Plexus dentalis zur Schleimhaut bestimmter Kieferanteile verlaufen. Die Kieferanästhesie setzt also immer eine weitergehende Anästhesie voraus. Dafür aber muß die Pulpaanästhesie in der Regel tiefer sein als die Kieferanästhesie. Dies erklärt sich zum Teil daraus, daß der auf den Zahn beschränkte Eingriff sowohl im Dentin, als auch besonders in der Pulpa, vor allem die Nervenendungen trifft, während z. B. bei der Extraktion hauptsächlich Nervenstämmchen verletzt werden. Wir wissen aber auch von anderen Organen, daß die Nervenendungen bedeutend empfindlicher sind als die Stämme; so ist die außerordentliche Empfindlichkeit der Komeaoberfläche wohl bekannt, im Gegensatz zu der fast unempfindlichen Tiefe, z.B. am Boden eines Komealgeschwürs. Außerdem aber spielt auch sicherlich der Reizzustand der Nerven eine große Rolle. Dadurch ist es erklärlich, daß die Pulpa akut pulpitischer Zähne so außerordentlich schwer zu anästhesieren ist, während umgekehrt eine akute Periodontitis auch die Kieferanästhesie erschwert. Daher ist im allgemeinen die Dosierung für die beiden Arten von Anästhesien eine verschiedene. Für die Pulpaanästhesie muß die injizierte Menge des Aiiästhetikums auf das Vielfache der Menge bei Kieferanästhesie erhöht werden. Dabei ist überdies die Erhöhung der Konzentration sehr brauchbar, die wir bei Kieferanästhesie im allgemeinen Pulpaanästhesie nehmen. Der folgenden Darstellung soll die erste der beiden Einteilungsformen der Anästhesien zugrunde gelegt werden, nämlich die in Plexusanästhesie und Stammanästhesie. Im Rahmen dieser Einteilung findet dann noch die Unterscheidung in Pulpa- und Kieferanästhesie Berücksichtigung.
Nur noch wenige Worte über die Anwendung der Pulpaanästhesie speziell für die Präparation von Kavitäten. Es soll nämlich dem eventuellen Mißverständnis vorgebeugt werden, als ob ich auf dem Standpunkt stünde, daß jeder konservativen Behandlung eine Anästhesie vorausgehen solle. Sehr oft ist ja der Schmerz bei der Präparation der Kavität so gering, zum mindesten so erträglich, daß die Anästhesie eine unnötige Komplikation des Eingriffes darstellen würde. Es empfiehlt sich daher, so vorzugehen, daß man die Kavitätenpräparation ohne weiteres beginnt, aber sofort eine Anästhesie vornimmt, wenn während des Eingriffes die Schmerzen das leicht erträgliche Maß überschreiten.
Noch ein anderer Punkt verdient Erwähnung. Da, wie wir noch später sehen werden, fast alle Anästhesien — Plexus- und Stammanästhesien — nur perineurale Injektionen sind, ist in manchen Fällen, trotz Erhöhung der Konzentration und der Dosis die Tiefe der Pulpaanästhesie nicht genügend, um die Pulpa selbst schmerzlos entfernen zu können. Bei richtiger Applikation gelingt es aber immer, die Empfindlichkeit soweit herabzusetzen, daß die Freilegung der Pulpa ohne nennenswerten Schmerz möglich ist. Dann aber ist bei der bereits hypästhetischen Pulpa die Druckanästhesie immer von Erfolg begleitet.